Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um seelische Gesundheit, Trauer, Suizidgedanken und andere Themen, die nicht unbedingt für gute Laune sorgen.
Der Post hier liegt seit mindestens einem Jahr im Entwürfe-Ordner. Denn es gilt noch immer als Schwäche über Depressionen zu schreiben. Daran hat auch das fantastische Buch von Kurt Krömer nichts geändert und auch mein Held Torsten Sträter hat viele, aber leider noch nicht alle Türen öffnen können.
Vor vielen Jahren habe ich auf der Website der deutschen Depressionshilfe einen Selbsttest durchgeführt, weil ich lediglich wissen wollte, ob ich einfach nur wegen bestimmter Umstände traurig sei oder tatsächlich ein Problem mit meinem Gehirn vorliegt. Ich habe gedacht: „Okay, mir geht’s soweit ganz gut, aber irgendwie halt nicht so richtig geil.“
Willst du einen Selbsttest machen? Hier!
Therapie.de
Als das Ergebnis aufpoppte, war ich komplett erschrocken. Laut Selbsttest habe ich eine ausgewachsene Depression und der Test geht sogar so weit, dass ich mir dringend professionelle Hilfe suchen sollte. Ich habe den Test ein weiteres Mal ein paar Wochen später gemacht, als ich mich eigentlich ganz gut fühlte, aber auch dieses Testergebnis war nicht wirklich aufmunternd. Ich versuchte anschließend noch andere Tests, weil ich nicht akzeptieren wollte, eine Depression zu haben. Dabei sprachen natürlich alle Fakten für die Depression.
Rückblende
Anfang der 90er Jahre war ich Schüler in einer Realschulklasse in einer mittelgroßen Stadt. Damals gab es noch vor der 7. Klasse die Orientierungsstufe in Klasse 5 und 6. Diese beiden Schuljahre werte ich als so ziemlich die schönsten Jahre meiner Schulzeit, aber in der 7. Klasse fiel ich in ein tiefes Loch. In meiner Klasse gab es Mobbing und ich hatte jeden Tag Angst, in die Schule zu gehen. Es hat mich fertig gemacht, diese Menschen zu sehen, mit denen mich überhaupt gar nichts verbindet. Ich fand dieses Schuljahr grausam und habe in der Zeit mehr als nur einmal überlegt, mich „einfach vor den Zug zu schmeissen“. Ich habe dies meinen Eltern irgendwann sogar gesagt. Der Schock war natürlich riesig, aber da wir exakt in diesem Jahr umgezogen sind und ich einen Neustart in einer neuen Schule mit neuen Leuten machen konnte, verschwanden diese Gedanken wieder in meiner kleinen Schutzschild-Kiste.
Viele Jahre gingen ins Land. Meistens ging es mir gut. Wenn nicht, haben aufmerksame Leser:innen meines Blogs das durchaus gemerkt. Es gab viele „Jammerpostings“ darüber, wie schlimm das Leben als Single ist. Es gab oft Postings darüber, bei denen ich mich darüber ausgelassen habe, dass alles ganz schlimm ist. Ich habe diese Beiträge gelöscht, weil ich mich heute dafür schäme. Es waren Schuldzuweisungen, die ungerechtfertigt waren, weil niemand anderes „schuldig“ daran ist, wie es mir zu der Zeit ging.
Mittlerweile habe ich akzeptiert, eine schwere Depression zu haben. Es gibt Phasen in meinem Leben, in denen ich ohne ersichtlichen Grund Tränen in den Augen habe. Es gibt Phasen, in denen ich mich nicht „mächtig“ fühle, einfache Dinge durchzuführen. Es gibt auch Phasen, in denen ich ungerecht, laut und richtig fies bin. Ich habe akzeptiert, dass dieser Zustand eine Depression ist.
Grundsätzlich steht fest, dass ich eigentlich in eine Therapie müsste, gerade dann, wenn es mich übermannt und alles richtig übel wird. Ich habe aber Glück im Unglück. Meine Familie gibt mir unglaublich viel Kraft. Nicht, weil sie mich in irgendeiner Art besonders unterstützen würden oder so, sondern weil sie einfach da sind. Meine Familie gibt mir das Gefühl, gebraucht zu werden. Meine Familie ist meine Festung und mein Rückzugsort. Meine Kinder sind die tollsten Menschen der Welt, meine Frau ist eine ganz besondere Person und mein Hund zwingt mich, rauszugehen und mich mit mir selbst zu beschäftigen. Außerdem kuschelt der Köter gerne mit mir. Das alles ist natürlich kein Ersatz für einen Therapeuten, aber ich habe mir ein Umfeld aufgebaut, welches mich komplett unterstützt.
Ich habe meinen Rückzugsort hier im Haus. Ich liebe meinen Bürokeller. Ich kann jederzeit schreiben, ich kann mich hier hin setzen und ein gutes Buch lesen. Ich kann bloggen, ich kann zocken. Und wenn es wirklich nicht mehr geht, kann ich mich hinsetzen und meditieren. Ich habe akzeptiert, dass die Depression ein Bestandteil meiner Persönlichkeit ist. Das bedeutet für mich eine Menge Arbeit und ich weiß auch nicht, wie lange ich das hinbekomme, aber seitdem ich offen dazu stehe, geht’s eigentlich.
Neustart vom Blog und dann gleich so was persönliches. Hui. Mal gucken, ob und wie lange ich diesen Artikel online lasse.
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4. Juli 2022 um 14:47 Uhr
Danke für deinen Bericht. Selbst betroffen.. Habe über deine Seite den Depressionstest gemacht , der das Ergebnis der Tagesklinik bestätigt, in der ich mehrere Wochen war. Nun auf der Suchen ach einem Therapeuten.
Wünsche dir und deiner Familie alles Gute .
4. Juli 2022 um 21:14 Uhr
Bachblüten oder Homöopathie kriegt man überall, aber wehe es geht um so etwas ernstes, wie eine Depression. Als Kassenpatient:in bist du komplett auf dich allein gestellt. Therapeut:innen zu finden, die dann auch noch motiviert und hilfreich sind, ist vergleichbar mit Lotto.
Ich wünsch dir auch viel Glück. Ich bin hier noch am herumwuseln. Für den Moment scheint meine Depression mich privat und beruflich noch nicht zu belasten. Aber das kann noch passieren, leider.
2. Mai 2023 um 08:31 Uhr
danke für deine Offenheit, als Selbst-Betroffener kann ich da sehr gut mitfühlen, lg
2. Mai 2023 um 09:24 Uhr
Wenn man es sich eingesteht und offen damit umgeht, ist das schon hilfreich. Parallel habe ich für mich jetzt Johanniskraut im Einsatz.
Danke für deinen Kommentar. ♥️